Entwicklung braucht Entschuldung
Mosambik – ein Beispiel der Schuldenkrise
„Die Situation der Kleinbauern war schon vor dem aktuellen Schuldenskandal sehr schlecht, jetzt ist sie noch schlechter. Die Kaufkraft der kleinbäuerlichen Familienbetriebe für Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz hat stark nachgelassen. Zudem haben wir die internationalen Unterstützungen verloren“, konstatiert Felisberto Baûque, Agraringenieur aus Boane, auf die Frage zur Situation in den ländlichen Regionen Mosambiks. „Aktuell sind wir ohne staatliche Hilfe für Bildung, Gesundheit und die Wasserversorgung. Zudem hat die Regierung die Subvention für das tägliche Brot eingestellt“, pflichtet Gina dos Reis von der NGO Grupo Moçambicano da Divida der Beschreibung bei. „Der IWF bezifferte vor dem Schuldenskandal die Schuldenquote des Landes mit 170 Prozent. Das war eine mit der Situation von Griechenland vergleichbare Größenordnung. Nun wird für das Jahr 2022 eine Schuldenquote von 278 Prozent prognostiziert. Das ist für Mosambik eine gigantische Auslandsverschuldung“, meint Kristina Rehbein, Expertin des Entschuldungsbündnis erlassjahr.de. „Für den Skandal um die versteckten Schulden sind einige korrupte Eliten verantwortlich. Aber: Versteckte Schulden sind auch in anderen Ländern wie beispielsweise im Kongo oder Malaysia aufgetaucht. Das ist kein spezifisches Problem Mosambiks. Es geht vielmehr um die Diskussion der Schuldentragfähigkeit kritisch verschuldeter Entwicklungsländer. In Afrika sind aktuell 40 Prozent der Staatshaushalte kritisch verschuldet“, fügt sie ihren ersten Anmerkungen hinzu.
An die 50 Personen waren in die Kantine im neuen Gebäude der Tageszeitung taz gekommen, um mit den Expert*innen über die dramatische Schuldensituation Mosambiks und den Ländern des „Globalen Südens“ zu diskutieren. „Die Informationen aus der internationalen Presse über die Verschuldungssituation Mosambiks der vergangenen Jahre lesen sich wie ein globaler Wirtschaftskrimi“, merkte Daniel Pelz, Afrika-Korrespondent der Deutschen Welle, bei der Anmoderation der folgenden komplexen Diskussion an. Sie verband Aspekte der Beurteilung der landesspezifischen Situation Mosambiks mit einer übergeordneten vergleichenden Betrachtung der globalen Schuldenentwicklungen. Dabei wurden in den Statements der Referent*innen Fragen von vor Ort überlebenssichernden Solidarleistungen, über „illegitime Schulden“ bis hin zur Notwendigkeit eines internationalen Staateninsolvenzverfahrens behandelt. Schon am darauffolgenden Morgen versendete der portugiesische Kanal der Deutschen Welle einen Radiobeitrag über die Veranstaltung mit dem Titel „Mocambique deve pagar ou nao as dividas ocultas? („Soll Mosambik die versteckten Schulden bezahlen oder nicht?“). Was also war in Mosambik passiert und welche Handlungsoptionen offerierten die Referent*innen aus ihrer jeweiligen Perspektive?
Eigeninitiative und staatliche Verpflichtungen in der Schuldenkrise für Entwicklung
Mosambik hat seit seiner Unabhängigkeit 1975 eine negative Leistungsbilanz. Es ist eines der ärmsten Länder der Erde, zugleich aber reich an Rohstoffen. 2000 und 2005 wurden durch die HIPC-MDRI-Entschuldungsinitiativen ein Schuldenschnitt von 6,3 Milliarden US-Dollar vollzogen. In der Folge stiegen die Schulden bis 2010 im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nur langsam wieder an. Anfang 2016 aber wurde bekannt, dass die Regierung unter Umgehung des Parlaments Kredite von halbstaatlichen Unternehmen in Höhe von circa 2 Milliarden US-Dollar verbürgt hatte. Diese Kredite waren überwiegend für die Beschaffung militärischer und Dual-Use-Güter verwendet worden. Mosambik befindet sich seit Anfang 2017 im teilweisen Zahlungsausfall. Die Verschuldung Mosambiks hat erneut ein historisches Hoch erreicht. Die forcierte Ausbeutung der entdeckten Gasfelder vor der Küste soll nun aus Perspektive der Regierenden die notwendige wirtschaftliche Erholung bringen. 2016 wurde das Land zudem von Dürren und Überschwemmungen, heimgesucht. Die kleinbäuerlichen Familien, also der größte Anteil der Bevölkerung, haben seitdem durch Folgen des globalen Klimawandels und Schuldenkrise mit der Gefährdung ihrer existenziellen Lebensgrundlagen zu kämpfen.
Felisberto Baûque bildet in Boane, nahe der Hauptstadt Maputo, mit dem Verein ASDA „Entwicklung durch Solidarität und Selbsthilfe“ Kleinbäuer*innen in Theorie und praktischen Maßnahmen aus. Mit der Unterstützung von SODI konnten die Nahrungsmittelproduktionen von Mais, Bohnen und verschiedenen Gemüsesorten wie auch die Kleintierhaltung zur Nahrungsversorgung aufgebaut werden. Mais, weil es eine vom Niederschlag relativ unabhängige Pflanze sei, Enten und Kaninchen, weil sie sich zahlreich vermehren, referiert er dem deutschen Publikum. Seine Hoffnungen liegen im Aufbau von freiwilligen Organisationen mit internationaler Unterstützung. Die mosambikanische Regierung sieht er in der Pflicht, die Produktion von bezahlbarem Saatgut zu fördern. Es müsse ein landesweites Netzwerk von Saatgutproduzent*innen und Saatgutmärkten entstehen. Die Regierung müsse Staudämme, Wasserrückhalteanlagen und mit Sonnenenergie betriebene Brunnen bauen. Viehzucht benötige Heu und Weideland. Die Regierung habe die Sicherung der kleinbäuerlichen Lebensweise zu garantieren.
Gina dos Reis fordert die Rücknahme der „illegitimen Schulden“. Die Kredite wurden von der mosambikanischen Regierung ohne Kenntnis der Öffentlichkeit verbürgt, rechtskonform hätten sie aber vom mosambikanischen Parlament öffentlich transparent abgesegnet werden müssen.
Um die Dimension ihrer Forderung zu unterstreichen erläuterte sie: „Die illegitimen Schulden machen 15 Prozent der öffentlichen Schulden aus. Aber die Zinsen dieser illegitimen Schulden machen 60 Prozent der Staatsschulden aus.“ Die Verantwortlichen des Skandals müssten strafrechtlich verfolgt werden. Mit Blick auf die internationale Verantwortung kommentiert sie die Situation: „Sie geben uns Kredite. Sie nehmen die Rohstoffe. Sie geben uns keine Möglichkeit zu produzieren. Sie zahlen keine Steuern. Aber wir, die Bevölkerung, zahlen Steuern.“
Erfahren Sie jetzt mehr im Video zur Veranstaltung:
Ursache und Handlungsmöglichkeiten in der kritischen Verschuldungssituation
Kristina Rehbein verweist auf zwei wesentliche Gründe für die heute kritische Verschuldungssituation von sogenannten Entwicklungsländern. „Es gab einen aggressiven Kapitalexport in die Länder des Globalen Südens. Seit der Finanzkrise 2008 war eine hohe überschüssige Liquidität auf den internationalen Finanzmärkten vorhanden. Das Geld musste wohin und die Länder Afrikas haben auch durch die Vorgaben der nachhaltigen Entwicklungsziele SDGs einen hohen Investitionsbedarf von jährlich 600 Milliarden Euro.“ Die Regierungen hätten im Vertrauen auf die hohen Rohstoffpreise und das Rohstoffexportpotential teure Kredite aufgenommen, doch seit 2014 fallen die Rohstoffpreise. Gerade im südlichen Afrika steigen die Schulden deutlich im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung der Länder. Der IWF prognostiziere für die Zukunft zunehmende Zahlungseinstellungen. Die Krise werde zwar von den Institutionen auf den Finanzmärkten erkannt, aber der Diskurs sei auf fatale Weise auf Verbesserungen im statistischen Schuldenmanagement beschränkt: „Eine bessere Überwachung wird die Krise nicht lösen!“
Auch mit Blick auf die mosambikanische Situation spricht sie die beidseitige Verantwortung der Geschäftspartner bei einem Kreditgeschäft an. Eine unabhängige Rechnungsprüfungsfirma bestätige auf Grundlage interner Papiere, dass die Regierung Mosambiks ursprünglich einen sehr viel kleineren Kredit hätte haben wollen und die Verträge vier Mal mit erhöhten Volumina geändert wurden. Dabei wurden übliche Vertragsbedingungen wie das Transparenzgebot und die Schuldenlimits des IWF umgangen, ebenso das gängige Verfahren, dass Staatsgarantien nur mit parlamentarischer Mitbestimmung gegeben werden könnten. So hätten die Kreditgeber nachweislich ihre Sorgfaltspflicht verletzt und die zwei Milliarden der „versteckten Schulden“ sollten nicht vom mosambikanischen Volk bezahlt werden müssen. Vielmehr verweist Rehbein auf zwei konstruktive Vorschläge, wie mit der Schuldenkrise umgegangen werden könnte.
Der veranschlagte Schuldendienst werde nicht an die Gläubiger ausgezahlt, sondern in einen Entwicklungsfonds für Projekte in Mosambik eingezahlt. So könne die soziale und wirtschaftliche Situation des Landes gestärkt werden. Ein Modell, das die Bundesregierung mit der sogenannten Schuldenumwandlungsfazilität in ähnlicher Weise seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert habe, allerdings sei dies bisher weltweit in noch keinem Fall auf der Basis von illegalen oder illegitimen Schulden praktiziert worden. Erlassjahr.de arbeite zudem seit vielen Jahren am Diskurs ein „internationales Staateninsolvenzverfahren“ einzuführen. In Kürze die Vorteile beschrieben, sei dies ein transparentes Verfahren bei dem alle Schuldner und Gläubiger an einem Tisch säßen, eine unabhängige Beurteilung über die Situation des Schuldners, die notwendige Höhe des Entlastungsbedarfs stattfinden könne. Ein theoretisches Konzept von Maßnahmen für einen sozialverträglichen Umgang mit der Schuldenproblematik, das nicht existiere, aber 2014 von den Entwicklungsländern in der UN-Generalversammlung zur Diskussion gebracht werden wollte, doch von der Bundesregierung verhindert wurde.
SODI wird bestärkt durch diese erste erfolgreiche Veranstaltung zur „Schuldenproblematik in Mosambik“ weitere Veranstaltungen zur Situation in Nepal (Frühjahr 2019), Kamerun (Sommer 2019) und eine Veranstaltung zur globalen Verschuldungsproblematik (Herbst 2019) organisieren.
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